Eltern für Kinder im Revier e.V.

Kinder brauchen beide Eltern!

Sehr geehrte Frau Göring-Eckardt,

am 17.1.2020 veröffentlichten Sie oder Ihr Team auf Twitter die Forderung nach einer Geschlechterparität im Bundestag. Dies erstaunt, weil Bündnis 90/Die Grünen an anderer Stelle Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern aktiv verhindern. Im Sinne des deutschen Grundgesetz bedeutet Gleichberechtigung das Schaffen gleicher Bedingungen für alle, unabhängig von Geschlecht, Herkunft, Religion oder Weltanschauung.

Dieses Prinzip ignorierend, hat Ihre Fraktion 2019 einstimmig dagegen entschieden, die paritätische Betreuung von Kindern bei der Trennung ihrer Eltern in Form der Doppelresidenz als Regelfall zu etablieren, wie es in vielen anderen europäischen Ländern längst gesetzlicher Standard ist. Stattdessen fördern Sie mit Ihrem Festhalten am veralteten, gesetzlich vorgegebenen Modell der Einzelresidenz, nach dem nur ein Elternteil Kinder betreut und der andere nur für die finanzielle Versorgung zuständig ist und gelegentlich mit seinem Nachwuchs in die Ferien oder in einen Freizeitpark fährt, den psychischen Missbrauch von Kindern durch Entfremdung und verankern diese Rollenaufteilung im Bewusstsein der Kinder.

 

Am 12. Februar 2020 strahlt die ARD um 20:15 Uhr in ihrem ersten Programm den vom Südwestrundfunk produzierten Spielfilm "Weil Du mir gehörst" aus. Dieser stellt auf sachliche und realistische Weise den beklemmenden Verlauf der Schädigung von Trennungskindern durch das deutsche Familienrechtssystem dar. Die fast dokumentarische Darstellung erweist sich erst als Fiktion, als das betroffene Kind Unterstützung erhält. In der Praxis der von uns als Selbsthilfeverein betreuten Fälle wird den von induzierter Entfremdung betroffenen Kindern in den seltensten Fällen von chronisch überlasteten und unterqualifizierten Jugendämtern oder Familiengerichten geholfen. Opfer sind ausnahmslos die Kinder, die zum Teil lebenslang unter den ihnen zugefügten psychischen Schäden leiden.

Wiederholt hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die staatliche Pflicht zur Schutz von Kindern vor induzierter Entfremdung benannt. In der Entscheidung ECHR 779 vom 29. Oktober 2019 wird erstmals auch eine Schmerzensgeld- und Schadensersatzpflicht gegenüber einem dieser Verantwortung nicht nachkommenden Staat aufgezeigt. Da in Deutschland wirtschaftliche Gründe im Regelfall höher priorisiert werden als das Wohl von Kindern, ist darauf hinzuweisen, dass angesichts der zu erwartenden Aufnahme der induzierten Eltern-Kind-Entfremdung (Parental Alienation Syndrom, PAS) in die "Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme" (ICD-11) und die Einführung des Sozialen Entschädigungsrechts nach SGB XIV Kosten auf den Staat zukommen können.

Die von Ihrer Fraktion im Rechtsausschuss des Bundestages angesprochenen und von allen gehörten Experten bestätigten Qualitätsprobleme an deutschen Familiengerichten und der Reaktion der Bundesregierung, dass aus befürchteten personalwirtschaftlichen Schwierigkeiten keine Verbesserungen bei der Qualifikation der Entscheidungsträger angestrebt werden, zeigt ebenfalls den dringenden erforderlichen Handlungsbedarf. Der undefinierte Kindeswohlbegriff, der von jedem Gericht anders interpretiert wird, ist aber wenig förderlich.

Ein grundlegender Ansatz für die deutliche Besserung der Verhältnisse ist die gleichberechtigte Betreuung von Kindern.

Während es heutzutage allgemein akzeptierter Standard ist, dass sich in einer intakten Familie beide Elternteile um ihren Nachwuchs kümmern und auch der Windeln wechselnde und in der Krabbelgruppe aktive Vater von einer Randerscheinung zur gesellschaftlichen Normalität geworden ist, setzt unmittelbar mit der Trennung von Eltern eine Retraditionalisierung des Familienbildes, nachdem sich ausschließlich Frauen um Kinder zu kümmern haben.

Die hierdurch induzierten Probleme wie Armutsrisiken. Minijob, Teilzeitfalle, geringere Karrierechancen und reduzierte Rentenanwartschaften könnten auf einfachste Art reduziert werden: Indem man den anderen Elternteil nicht nur als Finanzierer, sondern als unverzichtbare Ressource für die Betreuung und Erziehung des eigenen Nachwuchses betrachtet.

Um kommenden Generationen die dringend notwendige Unterstützung zu gewähren, ist ein grundsätzlicher Paradigmenwechsel erforderlich. Anstatt Eltern in gute und schlechte Elternteile aufzuteilen und Kinder vom vermeintlich schlechteren zu separieren, muss es zum Regelfall werden, dass beide Elternteilen ihrer Erziehungspflicht und ihrem Umgangsrecht nachkommen und dies von der Politik gefordert und gefördert wird. Natürlich ist in jedem einzelnen Fall zu prüfen, ob es Argumente gegen eine gleichberechtigte Betreuung gibt, jedoch darf nicht allein der Wille eines zur Kooperation unfähigen oder unwilligen Elternteils dafür maßgeblich sein, wie es heutzutage noch üblich ist.

Viele der gegen eine Doppelresidenz im Regelfall gerichtete Vorurteile erweisen sich schon bei neutraler Betrachtung als grundsätzlich falsch. Der Psychologe Dr. Stefan Rücker, der im Auftrag der Bundesregierung die Studie "Kindeswohl und Umgangsrecht" erstellt hat, weist darauf hin, dass eine fehlende Kommunikationsfähigkeit der Eltern Kinder unabhängig vom Betreuungsmodell belastet. Die vom Bundesgerichtshof geforderte, besondere Kommunikationsfähigkeit von Eltern in der Doppelresidenz erweist sich als (von Anwälten sogar propagierte) Handlungsanleitung für Elternteile, die durch einfache Kommunikationsverweigerung Ihren Kindern das Recht auf den anderen Elternteil nehmen können. Diverse internationale Studien belegen, dass die Konfliktrate deutlich sinkt, wenn das Vorenthalten von Zeit des Kindes mit dem anderen Elternteil nicht mehr als Druckmittel missbraucht werden kann.

Auch das Vorurteil, dass Kinder einen festen Bezugspunkt brauchen und ihnen die Wechsel schaden ist wissenschaftlich widerlegt. Kinder haben in der Regel keine Probleme, mehrere Orte als ihr Zuhause zu erkennen und sehen dies gegenüber dem Kontaktverlust zu einem Elternteil als geringeres Übel an. Bei der Einzelresidenz müssen Kinder zudem mindestens genauso oft, wenn nicht sogar häufiger zwischen Elternteilen wechseln als bei einer Doppelresidenz.

Die Unterstellung von Gegnern der Doppelresidenz, dass es sich dabei um ein Modell zum Sparen von Unterhalt handelt, trifft ebenso wenig zu. Bei der Doppelresidenz wird ein Elternteil zeitlich und finanziell entlastet, während der andere sich zeitlich und finanziell einschränkt. Ein tatsächliches Unterhaltssparmodell im geltenden deutschen Unterhaltsrecht ist, sich überhaupt nicht um sein Kind zu kümmern und dem anderen Elternteil die Betreuungsverantwortung allein zu überlassen – mit allen negativen Auswirkungen für den betreuenden Elternteil und das Kind. Grundsätzlich gilt, dass sich die Erziehungs- und Betreuungsleistung eines Elternteils nicht durch dessen Geldbörse ersetzen lässt.

Wenn Sie als Co-Vorsitzende der Fraktion von Bündnis 90/die Grünen nun Parität im Bundestag fordern, sollten Sie stets berücksichtigen, dass Sie im Familienrecht genau das Gegenteil fördern.

Wäre es für Bündnis 90/Die Grünen nicht sinnvoll, sich mit einer progressiven, den Prinzipien der Gleichberechtigung folgenden Familienpolitik zu profilieren? Die Beziehung zwischen Kindern und Eltern ist sozialer Kern unserer Gesellschaft, der vorrangigen Schutz verdient.

Die betroffenen Kinder werden es Ihnen danken.

Essen, den 18. Januar 2018
Eltern für Kinder im Revier e.V.